Inklusion, Covid-19 & Menschen mit "Behinderung"

Verfasst von Daniel Braier, Student der Sozialen Arbeit der Hochschule Kempten



Wir haben auch Menschen mit einer Behinderung ganz direkt gefragt, wie sie die Corona-Krise wahrgenommen haben und inwiefern sie ihre Interessen als vertreten gesehen haben. Hierzu zwei Interviews:

Interview mit Oliver Trutnau


1. Zu Anfang waren die Beschränkungen ja sehr strikt. Durften Sie entscheiden ob Sie in der Wohneinrichtung bleiben wollen oder zu ihren Eltern möchten?

Oliver Trutnau: Ja ich hatte die Möglichkeit mich zu entscheiden.

2. Wenn Sie sich entscheiden konnten: Was wurden für Gründe dafür genannt?

Oliver Trutnau: Ich hatte Geburtstag in diesem Zeitraum, wollte den feiern. Weil sonst auch immer am Wochenende zu Besuch bei der Mutter war.

3. Wie hat Ihre Abwägung ausgesehen?

Oliver Trutnau: Damit ich überhaupt das Haus verlassen kann, da es mir im Wohnheim nicht gestattet gewesen wäre selbst einkaufen zu gehen, Besuch zu empfangen oder einfach mal einen Spaziergang zu machen. Es war prinzipiell wie im Gefängnis gewesen. Somit habe ich mich dazu entschieden übergangsweise zu meiner Mutter zu gehen um meine Einschränkungen zu minimieren.

4. Wie viel Zeit hatten Sie, um die Entscheidung zu treffen?

Oliver Trutnau: Sehr kurzes Zeitfenster. Prinzipiell musste ich mich kurz nach in Kraft treten der Lockdown-Maßnahmen entscheiden. Ich hatte somit ca. 2 Tage Zeit und ich hätte nicht die Möglichkeitgehabt wieder ins Wohnheim zu gehen nachdem ich mich für den Aufenthalt bei meiner Mutterentschieden habe.


Oliver Trutnau


5. Wie transparent war für Sie die Planung der zukünftigen Schutzmaßnahmen seitens etwa der Einrichtung und der Regierung?

Oliver Trutnau: Dadurch dass nichts geplant werden konnte, aufgrund der ständig wechselnden Allgemeinverfügung des Bezirkes, war es schlecht zu überschauen. War jedoch grundsätzlich verständlich.

6. Wie war die Situation dann in der Wohneinrichtung/Daheim für sie und ihre Eltern? Wie lange waren Sie zuhause? Wie war die Situation in der Werkstatt/Arbeit?

Oliver Trutnau: Wohneinrichtung: Anfang Juni konnte ich wieder ins WH (ABW Körperbehinderte Allgäu), Situation war ganz normal wie vor dem Lockdown. ABW wurde strikt vom stationären Bereich getrennt somit konnten keine Besuche zwischen diversen Bewohnern stattfinden. Daheim: 3 Monate daheim, ungewohnt. Mutter freute sich und war froh, dass jemand da war. Arbeit: Ab 02.06.2020, ungewohnt mit den ganzen Regelungen (Hygienekonzept), hat sich nicht gut angefühlt. Arbeitgeber gibt Ratschläge bzgl. Privatleben, unverständlich/frech; fühlte mich bevormundet (Privatleben soll Privat bleiben!!).

7. Auf einer Skala von 1-10, wie belastend empfanden Sie diese Zeit?

Oliver Trutnau: 10 (extrem), Psyche soziale Kontakte anhaltend bis heute.

8. Hielten Sie die Maßnahmen zur Anfangszeit der Corona-Pandemie für gerechtfertigt?

Oliver Trutnau: Fand die Maßnahmen gerechtfertigt und fand die Maßnahmen sehr gut. Man hätte wesentlich früher schon eingreifen sollen.

9. Welche Wünsche und Anregungen hätten Sie für die Zukunft?

Oliver Trutnau: Arbeit: soziale Kontakte mehr ermöglichen, möchte seine Freundin wieder sehen in der Pause.

Privat: mehr soziale Kontakte ermöglichen. Bessere Absprachen zwischen den Einrichtungen, bzgl. Besuchen.

10. Gibt es bereits Veränderungen beim Light-Lockdown?

Oliver Trutnau: Finde ich ganz gut, ich hätte die Maßnahmen bereits früher eingeleitet. Findet Light-Lockdown aufgrund der geringeren Einschränkungen besser.


Interview mit Iris Roth



1. Zu Anfang waren die Beschränkungen ja sehr strikt. Durften Sie entscheiden ob Sie in der Wohneinrichtung bleiben wollen oder zu ihren Eltern möchten?

Iris Roth: Ich bin zu einem Zeitpunkt nach Hause zu den Eltern gegangen, wo ich es noch selber entscheiden konnte, ob ich gehe oder nicht.

2. Wenn Sie sich entscheiden konnten: Was wurden für Gründe dafür genannt? Wie hat Ihre Abwägung ausgesehen?

Iris Roth: Für mich war klar, dass ich zu den Eltern gehe, wenn die einverstanden sind. Für mich gab es keine Abwägung.


Iris Roth


3. Wie viel Zeit hatten Sie, um die Entscheidung zu treffen?

Iris Roth: Ich bin am Donnerstag zu meinen Eltern und am Freitag musste man erst entscheiden, ob man geht oder nicht. Da hätte ich einen Tag zur Entscheidung gehabt.

4. Wie transparent war für Sie die Planung der zukünftigen Schutzmaßnahmen seitens etwa der Einrichtung und der Regierung?

Iris Roth: Uns hat keiner gefragt wegen den Maßnahmen, die waren einfach plötzlich da. Es wurde einfach entschieden.

5. Wie war die Situation dann in der Wohneinrichtung/Daheim für sie und ihre Eltern? Wie lange waren Sie zuhause? Wie war die Situation in der Werkstatt/Arbeit?

Iris Roth: Ich war 3 Monate bei meinen Eltern (19.04.2020 – 13.06.2020). Ich durfte in dieser Zeit nicht zurück in die WG. Auch nicht zum Besuch. Wenn ich zurück hätte müssen, wäre es ganz kompliziert worden. Meine Physiotherapeutin ist zum Glück zu mir gekommen um mich zu behandeln, das war viel Unterstützung, auch für die Seele.

6. Auf einer Skala von 1-10, wie belastend empfanden Sie diese Zeit?

Iris Roth: Am Anfang war es nicht belastend für mich, weil meine Eltern und ich versucht haben das Beste aus der Situation zu machen (0 auf der Skala). Nach einer Zeit hatte ich aber auch Sorge, ob es für meine Eltern nicht zu viel wird. (5 auf der Skala). Inzwischen finde ich es belastend, wegen generell den Einschränkungen im Freizeitbereich und in der Arbeit (8,5 auf der Skala).

7. Hielten Sie die Maßnahmen zur Anfangszeit der Corona-Pandemie für gerechtfertigt?

Iris Roth: Am Anfang für ein paar Wochen schon. Ob es dann auf Dauer Sinn gemacht hat, da bin ich mir sehr unsicher.

8. Welche Wünsche und Anregungen hätten Sie für die Zukunft?

Iris Roth: Das wir wieder viel mehr unsere Leben leben dürfen. Vor allem in der Arbeit wünsche ich mir, dass wir in unseren normalen Gruppen arbeiten dürfen. Seit längerer Zeit bin ich mit meinen Mitbewohnern in einer Gruppe zusammen, sodass ich oft 24h mit ihnen verbringe. Das belastet mich am meisten.

9. Gibt es bereits Veränderungen beim Light-Lockdown?

Iris Roth: Nein. Nichts was für mich bemerkbar wäre. Weder in der WG noch in der Werkstatt.