„Wir sind alle einfach Menschen und so sollten wir miteinander umgehen, ganz einfach!“- Inklusion in der Gesellschaft

Verfasserin: Marie Huckenbeck, studiert unter anderem Lehramt Geschichte an der Universität Augsburg



Im Rahmen des #MEETUP!-Projekts „Inklusion?! Umgang mit Behinderung in Gegenwart und Geschichte – Eine deutsch-ukrainische Jugendbegegnung“ des Bukowina-Instituts an der Universität Augsburg durften einige der am Seminar teilnehmenden Studierenden drei Interviews mit Bezirksrätinnen und Bezirksräten des Bezirks Schwaben führen. Alle drei Persönlichkeiten sind wie viele andere Bezirksrätinnen und Bezirksräte, die wir nicht befragen konnten, sehr engagiert. Diese drei setzen sich aus unterschiedlichen familien- und/oder berufsbiographischen Gründen für Menschen mit Beeinträchtigungen ein. So unterschiedlich die drei Geschichten auch sind, eines möchten sie alle durch ihre Arbeit vermitteln:

„Inklusion ist selbstverständlich und eine Bereicherung, wir gehören alle zusammen.“ (Petra Beer)

Petra Beer ist Bezirksrätin, engagiert sich in zahlreichen Vereinen und ist in vielen Bereichen ehrenamtlich tätig. Zudem arbeitet sie im Weltladen ihrer Heimatstadt. Frau Beer hat selbst einen Sohn mit Handicap, der in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung lebt. Sie berichtet davon, wie traurig die Zeit während des ersten Lockdowns im Frühjahr war, zu der sie ausschließlich telefonisch Kontakt zu ihrem Sohn halten konnte. Es war, als wäre ihr Sohn dort eingesperrt. Für die Zukunft wünscht sie sich mehr Beachtung und Sensibilität in der Gesellschaft für Menschen mit Behinderung beispielsweise während dieser Extremsituation der Covid-19-Pandemie. Beer selbst ist Teil des Fördervereins der Einrichtung, in der ihr Sohn lebt. Die Aufgaben der gelernten Krankenschwester im Bezirk Schwaben sind vielfältig. Ihre Schwerpunkte sind die Arbeit mit dem Jugendsinfonieorchester, die europäischen Partnerschaften des Bezirks, aber auch das Hilfswerk Schwaben-Bukowina. Darüber hinaus ist die 59-Jährige 1. Vorsitzende von einem Förderverein einer sonderpädagogischen Schule in Memmingen. Inklusion und die Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen möchte sie vor allem praktisch umsetzen, nicht nur politisch. Und eines sollte jeder und jedem laut Beer immer klar sein: „Beeinträchtigung kann jeden immer treffen und dessen sollte man sich immer bewusst sein.“ Petra Beer wünscht sich, „dass Inklusion selbstverständlicher wird und Menschen mit Behinderung einfach dazugehören“.


Interview mit Petra Beer
Marie Huckenbeck und Frau Beer im Gespräch.


Barbara Holzmann ist Vizepräsidentin des schwäbischen Bezirkstags. Ihr Berufsleben hat die Sozialpädagogin überwiegend in der ambulanten psychiatrischen Versorgung verbracht. 1984 wurde sie als „grüne Frau“ in den schwäbischen Bezirkstag gewählt. Beruflich arbeitet sie in einer Beratungsstelle im sozialpsychiatrischen Dienst und begleitet Menschen mit einer psychiatrischen Diagnose. „Letztendlich ist es genau das, dass die Menschen in der Wohnung bleiben können, die sie sich ausgesucht haben. Dass sie einen Alltag haben und Teilhabe stattfindet, in der Art und Weise wie es für Menschen ohne Handicap selbstverständlich ist. Dass sie eine Möglichkeit haben eine Arbeit zu finden, von der sie leben können und auch wenn ein Handicap da ist, dass die Eigenverantwortlichkeit und eine Selbstständigkeit bei dem Menschen selbst bleibt, dass nicht befürsorgt wird sondern das Gegenüber, auch wenn ein Handicap da ist, ernst genommen wird mit den eigenen Ideen und Wünschen zum Leben“, beschreibt Holzmann die Beweggründe ihrer Tätigkeit. Als Bezirksrätin war die Allgäuerin immer im Gesundheits- und Sozialausschuss tätig. „Meine Ziele sind es dabei immer, nicht große Institutionen zu fördern, sondern viel stärker zu schauen, was braucht der einzelne Mensch und wie müssen Hilfen organisiert werden müssen, dass die Hilfen zum Mensch kommen und nicht, dass der Mensch irgendwo hinkommen muss, dass er adäquat versorgt wird.“ Die psychischen Beeinträchtigungen werden laut Barbara Holzmann im öffentlichen Raum nach wie vor vernachlässigt. Zudem merkt sie an, dass von der Betroffenheit in der Bevölkerung, die Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen mit weitem Abstand die größte Gruppe bilden. Im Arbeitsleben fliegen Menschen mit psychischer Behinderung, obwohl sie zum Teil gute Qualifikationen haben, meist schnell raus oder werden gekündigt, weil sie als schwierig gelten und wenig einschätzbar sind. „Man weiß aber, wenn man eine Kultur in einem Betrieb hat, in der auch ein Mensch mit psychischer Beeinträchtigung arbeiten kann, dass alle davon profitieren, auch die Gesunden. Weil man einfach genauer schaut, wann zum Beispiel jemand überfordert ist“, erläutert sie und fügt hinzu: „Wir sind doch alle unterschiedlich, was wir zum Beispiel arbeitstechnisch brauchen und wenn ich da achtsamer damit umgehe, auch bei den Gesunden, dann profitieren alle, aber eben auch Menschen, die ein Handicap haben, aber da sind wir leider weit weg davon.“


Interview mit Barbara Holzmann
Frau Holzmann und Prof. Maren Röger vor der Fotoausstellung ORDER 7161.


Das Interview mit Herrn Thumser wird nachgereicht

Volkmar Thumser ist ebenfalls Bezirksrat und Beauftragter des Bezirks Schwaben für Menschen mit Behinderung und für Inklusion, er ist Vater von vier Töchtern, von denen die jüngste das Down-Syndrom hat. „Ich bin Aktiver der Selbsthilfegruppe Initiative Trisomie 21 für Augsburg und Umgebung, die jetzt seit über zehn Jahren den schönen Namen einsmehr hat“, beschreibt der 61-Jährige sich selbst. Menschen mit Trisomie 21 haben eines der 23 Chromosomen nicht zweimal, sondern dreimal, woraus der Name einsmehr entstand, da man nicht immer nur von den Einschränkungen berichten wollte, laut Thumser sollte das einfach positiv klingen. Gegründet haben Volkmar Thumser, seine Frau und eine Freundin, die ebenfalls ein kleines Kind mit Trisomie 21 bekam, die Selbsthilfegruppe damals zur Information und Fortbildung zur Frühförderung. Teil des Vereins einsmehr sind mittlerweile circa 140 Familien und einige Fördermitglieder, die nicht aus familiären Gründen dabei sind. „Eine inklusive Gesellschaft ist eine, in der alle die gleichen Rechte hat, aber jeder nach seinen Notwendigkeiten unterstützt wird, um diese Rechte auch ausüben zu können“, beantwortet der Bezirksrat die Frage, was für ihn persönlich Inklusion bedeutet.


Interview mit Volkmar Thumser
Herr Thumser im Gespräch mit Rebecca Müller.


Die drei hochspannenden Interviews lassen sich passend mit den Worten von Barbara Holzmann, auf die Frage, was sie sich in Zukunft für den Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigung wünschen würde, abrunden. „Wir leben in einer Gesellschaft, die auf der Überholspur unterwegs ist, da ist man gesund und leistungsfähig und in der Lage sich selbst zu managen. Die andere Seite ist, und da wird Richard von Weizsäcker gerne mit seinem Satz 'eine humanistische Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht', zitiert und unter dem Aspekt ist in der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Behindertenhilfe ein wahnsinnig hoher Versorgungsgrad da, der auch klar definiert ist. Unser Problem ist die tatsächliche Teilhabe, im Alltag begegnen wir Menschen mit Behinderung eher nicht.“ Hoffnung auf Besserung setzt die stellvertretende Bezirkstagspräsidentin in die erste Generation von Kindern, die nicht automatisch in ein Förderzentrum gehen, sondern in die Regelschule. Als Tipp für Studierende, die sich vielleicht zum ersten Mal aktiv mit dem Thema Inklusion auseinandersetzen formulierte Frau Beer folgende Aussage: „Wir sind alle einfach Menschen und so sollten wir miteinander umgehen, ganz einfach“.