Verfasst von Victoria Khoma und Taras Pyatnychuk, Studenten der Geschichte der Universität Černivci
Oksana Wynnyk wurde als Expertin für die Probleme der Anpassung von Kriegsinvaliden nach 1918 und als Spezialistin für Geschichtsforschung zur Teilnahme an dem Projekt eingeladen. Die Studierenden untersuchten, basierend auf den Forschungsergebnissen von Frau Wynnyk, die Funktionsweise eines Behindertenheims in Ľviv.
Nach dem Ersten Weltkrieg kehrten viele verletzte und verwundete Soldaten in ihre Heimat zurück. Etliche von ihnen waren invalide und konnten somit nicht an ihr ursprüngliches Berufsleben anknüpfen. Daher wurden unterschiedliche Einrichtungen und Heime gegründet, die sich um die Kriegsversehrten kümmern sollten. Das Behindertenheim in Ľviv war eine spezielle Einrichtung, die sich um die Angelegenheiten von Menschen mit Beeinträchtigungen kümmerte, die während des Krieges verletzt oder „verkrüppelt“ wurden. Das Recht, in der staatlichen Einrichtung wohnen zu dürfen, war damals an Bedingungen geknüpft: Demobilisierte männliche Soldaten durften nur im Haus bleiben, wenn sie entweder zu 75-100% behindert oder zu 47-75% Veteranen mit „Behinderungen“ waren, aber aufgrund ihrer geistigen Beeinträchtigungen keine bezahlte Arbeit verrichten und zu Hause nicht ausreichend versorgt werden konnten.
Die Institutionalisierung im Heim für Menschen mit Beeinträchtigungen bedeutete für sie den Verlust der persönlichen Freiheiten wie der Freizügigkeit. Darüber hinaus konnten „behinderte“ Veteranen gegen ihren Willen in Einrichtungen festgehalten werden. Sie konnten das Heim nicht ohne die Erlaubnis der Verwaltung verlassen. Die Bewohnerinnen und Bewohner konnten „Urlaub“ bekommen und danach mussten sie zur Einrichtung zurückkehren, sonst mussten die Behörden Nachforschungen einleiten.
Ebenfalls am Anfang der 1920er Jahre konnten Veteranen ihren Platz in der Einrichtung verlieren, wenn von der medizinischen Kommission eine unzureichende Verbindung zwischen dem Militärdienst und dem Beeinträchtigungsgrad einer Person festgestellt wurde. In einigen Fällen bot die Verwaltung jedoch an, den Aufenthalt des Veterans zu verlängern, damit von ihnen eine andere Einrichtung oder Arbeitsstelle für ihn gefunden werden konnte, da er sonst obdachlos und ohne Einkommen gewesen wäre.
Verschiedene Zweige oder Bereiche der militärischen und zivilen Verwaltung hatten unterschiedliche Ansichten darüber, was sowohl institutionelle Pflege als auch „Behinderungen“, zugezogen durch den Kriegseinsatz, anging. Am Anfang der 1920er Jahren diskutierten Bürokraten häufig über verschiedene institutionelle Modelle der Pflege von Kriegsinvaliden. Im Jahre 1923 forderte das Ministerium für soziale Sicherheit und Arbeit die Übernahme der Einrichtung.
Während der Verhandlungen waren das Kriegsministerium und das Ministerium für soziale Sicherheit und Arbeit durch militärisches und ziviles medizinisches Personal vertreten. Vertreterinnen und Vertreter beider Ministerien waren sich über den Umgang mit „behinderten“ Veteranen und der Einrichtung einig. Die Beamtinnen und Beamte kamen darüber überein, dass Veteranen mit einem hohen Invaliditätsgrad von Ľviv auf das Land gebracht werden müssen, und sie glaubten, dass diese neuen Umstände die meisten Kriegsinvaliden zwingen würden, eine Arbeit zu finden. Mit anderen Worten, die Militär- und Zivilbürokraten von Ľviv betrachteten die Bewohnerinnen und Bewohner des Heims als „Faulenzer“, die Staatsmittel genossen und missbrauchten. Darüber hinaus stimmten sie keiner Behandlung der Patientinnen und Patienten zu, die sich in der Einrichtung befanden, während sie auf eine Entscheidung über ihren Behinderungsstatus warten mussten. Die Verantwortlichen glaubten, dass auch sie zu denen gehörten, die nur vorgaben kriegsgeschädigt zu sein, und andere, für die der Zusammenhang zwischen Militärdienst und Beeinträchtigung unbegründet war.
Gleichzeitig wiesen andere Berichte der Zivilbehörden darauf hin, dass sie nicht mit den Versuchen des Kriegsministeriums einverstanden waren, sich widersetzende, „behinderte“ Soldaten aus der Einrichtung zu überführen. Die örtliche Verwaltung behauptete, dass Militärbeamte das beeindruckende Haus aus dem 19. Jahrhundert nur als Residenz der Offiziere nutzen wollten, obwohl dies in starkem Gegensatz zu den Gründern der Institution stand. Als mögliche Lösung schlugen Vertreterinnen und Vertretern des Ministeriums für soziale Sicherheit und Arbeit vor, die Kaserne von Janowskij an die Zivilbehörden zu übergeben und im Inneren eine Unterkunft und eine Schule für „behinderte“ Veteranen einzurichten. Wenn sich die Militärverwaltung weigerte, Kasernen zur Verfügung zu stellen, sagten die Beamtinnen und Beamten, dass sie das Ministeriums für soziale Sicherheit und Arbeit nicht für das Wohlergehen „behinderter“ Soldaten verantwortlich machen würden.
Vertreterinnen und Vertreter des Ministeriums betonten auch, dass die Überstellung Kriegsgeschädigter in die ländlichen Gebiete negative Folgen für die polnische Regierung haben werde. Die Ostgrenzen und Ľviv waren eine außergewöhnliche Region, in der verschiedene Regierungszweige zusammenarbeiten mussten, um ein Sozialversicherungssystem für Veteranen mit Beeinträchtiungen zu organisieren, und jedes Versäumnis der Regierung, Soldaten mit Beeinträchtigungen zu unterstützen, konnte von Staatsfeinden als antipolnische Propaganda genutzt werden.
1929 übergab die Militärbehörde endgültig die Kontrolle den zivilen Behörden über das Gebäude, und die Militärs, die private Wohnungen in der Einrichtung hatten, mussten ausziehen. Aber die Übergabe war nicht unproblematisch und der Streit zwischen der Hausverwaltung und dem Militärkrankenhaus über de m angeschlossenen Park dauerte etwa ein Jahr. Major Wagner wurde zum Direktor der Institution ernannt. Nach der Inspektion des Gebäudes hat eine Sonderkommission die Entscheidung getroffen, dass größere Reparaturen erforderlich waren. Im Sommer 1938 versuchte das Militär erneut, die Kontrolle über einen Teil des Gebäudes wieder zu erlangen. Obwohl örtliche Militärbeamte um Dokumente baten, die die Übergabe des Gebäudes an die Zivilbehörden im Jahr 1929 bestätigten, behaupteten Beamte der Woiwodschaft Ľviv, sie könnten sie nicht finden.
So war das Behindertenheim in Ľviv in der Zwischenkriegszeit nicht nur ein Ort der Anpassung und Rehabilitation von Menschen mit Beeinträchtigungen, sondern auch ein Schauplatz der Kontroverse zwischen verschiedenen Zweigen der polnischen Regierung geworden.
Oksana Wynnyk verteidigte ihre Dissertation „Postwar Normalization: The Reintegration of Disabled Veterans to Civilian Life in Interwar Lviv“ an der Universität of Alberta (Edmonton, Kanada). Von September 2015 bis Mai 2018 arbeitete sie als Redaktionsassistentin der Canadian Slavonic Papers (einer Zeitschrift der Canadian Slavic Association). Derzeit ist sie als Wissenschaftlerin am Canadian Institute of Ukrainian Studies an der University of Alberta und als Lehrkraft an der Concordia Universität in Edmonton.
Forschungsinteressen: Geschichte der Ukraine, Geschichte Russlands, Geschichte der Sowjetunion, disability studies.
Publikationen: Beyond the National: «Posttraumatic Identity» and Disabled War Veterans in Interwar Lviv. ASN World Convention, Columbia University. 2015. №4. P. 23-25.; War Commemorative Rituals, Funerals, and the Construction of Collective Memory in interwar Lviv. Probleme der Geschichte der ukrainischen Revolution von 1917-1921. 2017. №12. С. 171.; The Devil's chain: prostitution and social control in partitioned Poland. Canadian Slavonic Papers. 2016. №12. P. 424.